Von Ulrike Arlt-Herberts
Morgen wird in der katholischen Tradition das Fest Allerheiligen begangen. Am Nachmittag wird der Toten gedacht und werden die Gräber besucht. Das Fest Allerheiligen möchte betonen, dass es Menschen in der Geschichte des Christentums gab, die heiligmäßig vor Gott lebten und dem gläubigen Menschen ein Vorbild im Glauben und für das Leben sein sollen.
Heilig ist nur der Ewige. Welcher Mensch könnte wirklich heilig sein? Heilig war meine oberbayerische Großmutter Magdalena womöglich nicht, aber eine Heldin. Als junge Frau sollte sie über einen Viehhändler verkuppelt werden (Dating-Apps gab es damals noch nicht), doch wollte sie sich den Mann selbst aussuchen. Das machte sie dann auch. Der Mann ihres Lebens wurde Klemens, mein späterer Großvater. Klemens war ein Philosoph, sehr spirituell und mit zwei linken Händen. Er las als Katholik in der Bibel, was damals sehr ungewöhnlich war. Meine Großmutter nun war die Maschine, die alles am Laufen hielt, den Bauernhof und die 16 Kinder. Immer wieder musste sie meinen Opa auffordern, dass er nun in den Stall zu gehen habe.
Magdalena sollte dann im Dritten Reich der Mutterorden verliehen werden, doch entschied sie sich für einen Boykott. Schließlich ging sie doch, nachdem sie lange überredet worden war, zur Verleihung. Am Ende sollte sie den Hitlergruß zeigen, doch sie zeigte stattdessen die Faust. Es herrschte Totenstille im Saal, denn man wusste, das Konzentrationslager Dachau war nicht fern. Glücklicherweise hatte die Familie im Dorf solch ein Renommee, dass der Oma letzten Endes nichts passiert ist.
Am Ende des Kriegs, als die Amerikaner über Garmisch mit den Panzern ins Dorf kamen, war sie ganz allein auf dem Hof. Während der Opa mit den Kindern oberhalb des Hofs in einer Scheune ausharrte, hängte sie die weiße Fahne heraus und wäre beinahe dabei von den amerikanischen Soldaten erschossen worden. Den amerikanischen Soldaten log sie vor, dass die Schafe Mehl bräuchten, denn sonst würden sie sterben. So bekam sie das Mehl, mit dem sie aber für deutsche Soldaten, die sich auf dem Rückzug über die Berge befanden, nachts mit der Schwägerin Brot buk. Sie befahl den deutschen Offizieren, dass diese in der gleichen Stube wie die einfachen Soldaten zu nächtigen hätten. Einem Schinder der ukrainischen Zwangsarbeiter im Dorf rettete sie das Leben, indem sie ihn im Schrank versteckte. Mensch ist Mensch, so dachte sie und so handelte sie. Meine Großmutter war eine Gottgläubige, die trotz mancher Diskriminierung als Frau in der Kirche und zahlreicher Schicksalsschläge ihren Glauben an den Ewigen nie aufgab.
Im katholischen Gesangbuch steht eine schöne Sentenz: Die Reife eines Menschen zeigt sich vor allem in seinem Dienst an der Gemeinschaft. Meiner Großmutter ist dies gelungen. Jeder Mensch guten Willens darf der Gemeinschaft dienen und die Entwicklung fördern. Das Gilt für Sie und für mich, heilig oder weniger heilig. Schalom!
in: BKZ vom 31.10.2025
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