Von Michael Jungerth

Seit vergangenen Mittwoch findet in Stuttgart der 102. Deutsche Katholikentag statt. Das Motto in diesem Jahr lautet: „Leben teilen“. Was kann dieses Motto bedeuten? Ist es nicht villkommen normal, dass wir das Leben teilen in unseren Familien, mit unseren Freunden, Nachbarn und Kollegen? Ja, wir teilen das Leben, indem wir miteinander reden, einander zuhören, versuchen zu verstehen, voneinander lernen…
Vielleicht verdeutlichen drei Beispiele, was „Leben teilen“ meinen kann: Während der Coronapandemie konnten wir vieles nicht teilen – und doch gab es rührende Beispiele, dass Menschen einander geholfen haben, füreinander einkaufen, den Kontakt wenigstens digital hielten, … Leben wurde geteilt.
In den letzten Wochen wurden Ukraineflüchtlinge ganz selbstverständllich aufgenommen. Wo Gastfreundschaft gezeigt wird, wo vielfältig geholfen wird, da teilen wir das Leben. Im Religionsunterricht an beruflichen Schulen erlebe ich, dass Leben geteilt wird: in den Berufsschulklassen bei den Auszubildenden findet der Religionsunterricht im Klassenverband statt. Keine konfessionelle Trennung, kein Ethikangebot. Wir teilen unser Leben, unsere Fragen, auch Glaubensfragen, unabhängig von Konfession und Religion. Jede und jeder darf so sein, wie er ist, mit seiner Herkunft, Religion und Kultur. Das bereichert alle, schafft Verständnis und Toleranz, letztlich Frieden. Leben teilen geht also über das normale Zusammenleben in der Familie hinaus. Vielleicht ist „Leben teilen“ eine Chiffre für die Nächstenliebe. Und wer diese umsetzt – oder wenigstens immer wieder versucht, sie umzusetzen – der baut mit an einer friedlicheren und gerechteren Welt. In biblischer Sprache: er baut mit am Reich Gottes. Also: Leben teilen – warum nicht?

aus: BKZ am 28.05.2022